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Sommerzeit ist Geschichtenzeit Teil 1

Auszeitklang Michaela Stohl
27.Juli 2023

Auszeitklang.de

Die Zigeunerin und das Farbenmeer

A

uch wenn manch einer es im Alltag nicht schafft, Bücher zu lesen. Im Urlaub gönnen sich das die meisten. Auch das sind Auszeiten. Und ich schreibe nun einmal gern Geschichten. Die Zeit am Meer war sehr inspirierend und somit ist die Geschichte von der Zigeunerin und dem Farbenmeer entstanden. Um ehrlich zu sein, schreibe ich noch, aber hier gibt es schon einmal den ersten Teil. Im August geht es dann weiter. Viel Freude beim Lesen.

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Kapitel I

Eine Zigeunerin sitzt am Strand und lässt den Sand durch ihre Finger rieseln. Er ist nicht beige oder braun, sondern dunkellila. Warum auch immer, es fasziniert sie. Sie hört auf den Namen Dey. Wieso sie diesen Namen trägt, ist eine längere Geschichte. Sie ist auf der Durchreise ihres Lebens und momentan am Meer. Wieso sie allein unterwegs ist? Nun, das bleibt ihr Geheimnis. Sie denkt gerade an den heutigen Morgen zurück.

Da war sie noch unsicher, ob sie überhaupt aufstehen will. Sie hatte sich verletzt und konnte nicht gut laufen. Sie fragte sich, ob es nicht einfacher wäre, liegenzubleiben? Schmerz hemmt das Urteilsvermögen und auch den Elan. Doch nicht mehr aufstehen ist immer nur die letzte Option und wer weiß, was der Tag für Überraschungen bereithält? Sie schaute nach den ersten schmerzhaften Schritten aus dem Fenster und sah den Hühnern und Gänsen beim Grasen zu. Wie friedlich die kleine Hof-Welt da draussen scheint. Doch auch das ist nur Schein. Die Gänse vertreiben selbst die Artgenossen, wenn es um das grüne saftige Gras geht. Schwalben fliegen vor ihrem Fenster hin und her, um ihren Jungen Nahrung zu bringen. Würde sie etwas verpassen, wenn sie nicht raus geht? Nein, darum geht es nicht. Sie verpasst nichts, alle Farben sind sowieso in Dey´s Innerem vorhanden, siekönnte sich auch drin beschäftigen, aber sie ist doch extra ans Meer gefahren. Wie könnte sie da ein Treffen wegen ein paar Schmerzen versäumen?

 

Also stand sie auf und humpelte dem Tag entgegen. Und jetzt ist sie also am Strand mit lila Sand. Hier fällt es ihr wieder ein und wie dankbar ist sie jetzt, dass sie die Entscheidung getroffen hat, aufzustehen. Es war nur eine Entscheidung, denn ihr Gefühl sagte das Gegenteil. Das änderte sich erst, als sie in der Stadt unterwegs war und immer noch auf den Schmerz an ihrem Fuß fokussiert, einen Mann im Rollstuhl erblickte. Er hatte nur noch Beinstümpfe. Seine Hände waren verbunden, man sah nur noch 2 Finger der rechten Hand. Dey konnte sich nicht von dem Mann abwenden und als sie in sein Gesicht sah, strahlte er ihr entgegen wie die Sonne, die in warmen Strahlen auf sein Gesicht fiel. Er hatte so ein ansteckendes Lächeln, dass Dey ihn anlächelte und sich augenblicklich dafür schämte, dass sie heute früh tatsächlich überlegte, ob sie aufstehen sollte. Sie hat doch zwei gesunde Beine und sie hat gefühlt noch 1000 Gründe mehr, aufzustehen, im Vergleich zu diesem Mann, der selbst dafür Hilfe benötigt.

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Wie unsagbar dankbar ist sie für diese Begegnung. Denn alles, was und wie sie heute den Tag erlebt, verdankt sie dem Strahlen dieses Mannes. Sie kann nicht aufhören, ihr Lächeln an die Menschen um sie herum zu verschenken. Sie ist dankbar für alles, was sie sehen und spüren darf – das facettenreiche Meer, die aufgeplusterten Wolken, das goldene Schlinggras vor ihren Füßen – all das ist heute noch viel wertvoller als sonst, weil sie etwas gelernt hat, was sich tief einprägt.

Sie lächelt über die Art und Weise, mit der neben ihr ein Mann splitterfasernackt ins Wasser stampft. Er läuft und läuft, weil er wohl schwimmen möchte, doch das Wasser geht ihm nur bis zum Knie. Inbrünstig und jeden Schritt mutig nach vorn preschend läuft er weiter, als gäbe es einen Kampf zu gewinnen. Endlich, irgendwo am Horizont verschwindet er in den Fluten – nur um eine halbe Minute später schon wieder genauso inbrünstig herauszustampfen. Was der da wohl vor hatte? Dey wendet sich ab, darüber möchte sie nicht weiter nachdenken. Ihr Sinn für Ästhetik findet, dass die Muscheln vor ihren Füßen eine sehr schöne Form haben.

 

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Sie denkt an eine Begebenheit vom Nachmittag. Eine Familie lief ihr über eine längere Strecke entgegen und der Mann schaute immer zur Wiese auf der rechten Seite, als suchte er etwas, anstatt sich mit seiner Familie abzugeben. Das könnte man jetzt bewerten oder auch sein lassen, weil man ja seine Beweggründe nicht kennt. Hatten sie einen Streit? Hatten sie sich nichts mehr zu sagen? Auf einmal sprang er auf die Wiese, pflückte eine kleine helllilafarbene Glockenblume, gab sie seiner Frau und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Eine hübsche kleine Geste. Ob er seine Worte wohl auch lila gekleidet hat? Die Frau lächelte ihn jedenfalls an. Also war es ein Volltreffer, das eine oder das andere oder im besten Falle das Zusammenspiel von Worten und Blumen. So kann es gehen, wir haben so oft keine Ahnung, was unsere Mitmenschen bewegt. Es ist wohl gut, vom Besten auszugehen.

Weil Dey den Nacktbader insgeheim belächelt hat, fragt sie sich, angesichts der Erinnerung vom Nachmittag, wieso sie sich das Recht rausnimmt, jemanden zu belächeln? Denn es war bei dem Wetter auch mutig. Sie läuft mit ihrer Regenjacke weiter am Strand entlang. Ihr ist kalt, doch sie liebt diesen Wind. Sie lässt die Regentropfen spielen. Weil sie heute schon jedes Wetter erlebt hat, weiß sie, dass das Meer mit Veränderungen per Du ist. Kein Wetter bleibt lang, alles fließt weiter. Dey packt ihre Sachen zusammen, denn auch sie wird weiterziehen zu neuen Orten, für neue Begegnungen und Erfahrungen. Weil sie achtsam und langsam läuft, was wegen ihrem schmerzenden Fuß nötig ist, empfindet sie alles noch viel intensiver und einprägsamer.

Sie kommt an eine neue Stelle, wo das Meer so ruhig und glatt ist, dass es beinahe wie ein Spiegel aussieht. Die Menschen reden an diesem Strand viel leiser, sie spüren die gleiche Ehrfurcht vor der Stille an diesem Ort. Keine Welle, Wolken liegen im Wasser, welch eine Vereinigung. Dey verinnerlicht diesen Moment.

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Die Liebe der Zigeunerin zum Meer ist inzwischen eine alte Liebe. Sie mag das Meer trotz, nein gerade wegen seiner Unterschiedlichkeit. An nur einem Tag hat sie so viele Gesichter des Meeres kennengelernt. Mal aufbrausend und stürmisch, dann ist es steinig und undurchsichtig und verlangt ihr vieles ab. Dann ist es wieder beruhigend und umspült sie mit sanftem Rauschen, als wäre ihr Herz in Melodien daheim. Und jetzt ist es die Stille selbst. Wenn das Meer ahnte, was es ihr bedeutete, wäre es nicht still. Vielleicht wäre es stürmisch…

Das Schöne ist, dass es sie immer überrascht. Nie weiß sie, was als nächstes kommt. Sie wird umspült, damit sie bleibt. Doch selbst, wenn sie sich entfernt, fließt das Meer unaufhörlich durch ihr Herz. Jeder Gedanke eine Welle, jede Empfindung eine plätschernde Melodie.

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Und selbst, wenn es ganz still ist, ist es nie langweilig. Im Gegenteil, es spiegelt, es fordert das Gegenüber heraus, vollständig zu sein und die Gegenwart zu erfüllen. Während sie früher andauernd etwas sammelte, was das Meer an Schätzen entgegenwarf, so will sie heute nichts mehr festhalten, weil sie weiß, dass sie wieder und wieder beschenkt wird. Sie erfreut sich am Moment und lässt diesen wieder gehen. Auch sie geht weiter. Es ist ein leichtes Dasein voller Gelassenheit und Weite im Herzen.

Doch wenn das Meer deshalb glaubt, sie durchschauen zu können, dann irrt es. Sie besteht aus vielen Farbschichten. Irgendwann werden sich diese mit den unsagbar vielen Blautönen des Meeres vermischen. Was wohl daraus entsteht?

Während sie stehen bleibt und in die dicken aufgeplusterten Wolken schaut, in deren Mitte sich ein Mund formt, ist´s, als hörte sie diese sagen: Gut, du bist vorangekommen. Du hast einiges geschafft. Halte ein wenig stille. Alles, was zu dir kommen möchte, ist auf dem Weg. Und als wollten sie es bekräftigen, steht mitten in der Wolke plötzlich ein winzig kleiner Regenbogen, ganz ohne Regen. Nach diesem Moment, in dem die Zeit stillstand und das Leben eine Pause machte, um sie in den Arm zu nehmen, geht Dey lächelnd weiter am Strand entlang. Und der milde Abend breitet langsam seine Farben aus.

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Hier sind noch ein paar Eindrücke, von den vielen Details, die mich inspiriert haben.

Mehr Informationen unter auszeitklang.de

 

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