Auszeitklang Michaela Stohl
31. Juli 2019
eine Reise – kommst du mit?
P
sst – hast du Lust, durchs Leben zu pilgern? Ganz authentisch mit allen Fragen, Zweifeln, Ängsten und Erfolgen? Möchtest du wissen, wie man sich auf der Suche nach Authentizität fühlt und vielleicht selbst eine Pilger-Reise unternehmen? Als letztes Jahr ein Freund sagte, dass ich das mal machen soll, dachte ich: das trau ich mich niemals. Siehe da, 1 Jahr und einige Umstände später zog ich los und fühle mich so gestärkt nach dieser Reise. Ich kann nicht anders, als davon zu erzählen:
…Die Tür eines Vogelkäfigs wurde nach einer langen Zeit aufgeschlagen und da saß der kleine Vogel nun, die große Freiheit vor Augen und voller Angst, ob die Flügel ihn wohl tragen werden. Aber die Enge kannte er lange genug und so beschloss er, sich seinen Ängsten zu stellen und flog los – hinaus in die Weite – und auf einmal ergriff ihn die Abenteuer-lust und die Flügel trugen ihn, als hätte er nie etwas anderes getan…
So startete ich meine Reise – auf dem Weg zum Startpunkt meiner Pilgerreise überfiel mich Angst, die ich mir erst nicht erklären konnte. Als ich mich dem stellte, wurde mir langsam klar, dass es tatsächlich die Angst vor der großen Freiheit war – sich den Fragen zu stellen und es zu wagen, mich allein durchzuschlagen. Forschst du manchmal, warum du Angst vor bestimmten Dingen hast? Es ist gut dem nachzuspüren, denn als ich mich damit auseinandersetzte und in Erfurt ankam, waren die Ängste verschwunden und es bahnte sich eine große Abenteuerlust ihren Weg: diese wunderschöne Stadt wollte erforscht werden. Und ich startete im Kloster und war dankbar, dass Gott schon da war.
Ich hatte vorher bewußt mal nichts (außer den Startpunkt) für die Reise geplant, also besorgte ich mir einen Pilgerpass, mit dem man zum Teil ermäßigte Unterkünfte, z.B. im Kloster (Pilgerzimmer für 10 Euro) bekommt.
Voller Elan startete ich am 1. Pilgertag früh meine Reise, meine Habseligkeiten auf dem Rücken tragend wie eine Schnecke. Es erschien mir schwer und ich fragte mich, wieso man im Alltag soviel Kram braucht. Fragst du dich manchmal, ob du tatsächlich alles brauchst, was du besitzt? Naja, 3 Bücher mussten mit (so meinte ich) und eben Wechselsachen und 2 Paar Schuhe. Das Ziel fest vor Augen lief ich los und hatte den Anspruch, mich ohne Handy und Karte durchzuschlagen. An ein paar Kreuzungen waren die Markierungen nicht ausreichend und so merkte ich nicht einmal, wie ich auf den falschen Weg kam. Fragst du dich manchmal auch, ob der Weg noch sinnvoll und gut ist, den du gehst?
Das Schöne war, ich fand eine Selbstpflücke mit den leckersten Johannisbeeren überhaupt, das schlechte war, ich entdeckte viel zu spät, dass ich in einem Ort rauskam, der 5 km von der Route entfernt lag. Ich ärgerte mich extrem, weil ich Umwege hasse. Mir war klar, dass mich das über eine Stunde Zeit kosten würde, auf den richtigen Weg zurückzukommen. Wäre ein Mensch in der Nähe gewesen, hätte er meine ganze Wut abbekommen, aber so hatte ich nur mich selbst. Eine sehr wertvolle Erfahrung.
Wie oft meinen wir im Alltag, der Ärger über Andere oder die Umstände müßte raus und abbekommen tun es immer die Nächsten? Wäre es nicht besser, schreiend im Kreis zu laufen und den Frust mit sich selbst auszumachen? Es sieht sicher lustig aus, aber es tut niemandem weh und hilft enorm. Dabei können wir lernen, die Verantwortung für unser Handeln und die Konsequenzen zu tragen. Auf dem Weg suchte ich also das positive an Umwegen: vielleicht machen sie uns verantwortungsbewußter und überlegter? Es ist auch sinnvoll, seinen Stolz zu überwinden und Orientierungshilfen anzunehmen. Vielleicht entwickeln wir durch die eigenen Umwege Verständnis und Barmherzigkeit für Menschen, denen es ähnlich geht, evtl. lernen wir nur auf Umwegen (Fehlern) Dinge, die uns zu einem reiferen Menschen machen (zum Beispiel Schmerz auszuhalten) und da war sie wieder – die Geduld, die es braucht, fast immer im Leben.
Es war Mittag, sehr heiß, ich war müde. Aber aufgeben war keine Option. Gibt es nicht eine Abkürzung? Nein, die gibt es oft im Leben nicht. Wir müssen uns den Schwierigkeiten stellen. Deshalb half es mir, dass Menschen mir ein Lächeln schenkten und mir ab und zu freundlich den Weg erklärten. Ich hatte das Empfinden, sie halten mich für ein bisschen verrückt. Ach – wenn schon. Ist es wichtig, was die Anderen so denken? Ich mußte weiter, mein Ziel schaffen – mein Bett war noch so weit entfernt, also weiter. Ich trieb mich an – ja keine Pause machen. Als ich fast umfiel, beschloss ich, doch mal einen schattigen Platz zu suchen.
Erst beim Rasten fiel mir auf, dass es im Alltag oft so ist: wir müssen funktionieren, haben uns schließlich viel vorgenommen, das Hamsterrad ist ständig in Bewegung. Ja nicht still sitzen, denn dann kommen die Fragen – warum tun wir uns das an, nicht mehr auf die Signale unseres Körpers zu hören? Warum tun wir so viel, was die Anderen von uns erwarten? Warum trieb ich mich auf meiner Reise so an? Es war das alte Pflichtbewußtsein, zu schaffen, was ich geplant hatte und das Sicherheitsbedürfnis – den Platz zum Schlafen zu erreichen, weil er nun einmal gebucht war. An dem Tag schaffte ich es nicht, umzudenken. Ich lief 23 km und erreichte abends mein weiches Bett in einer Pension. Ich war völlig ko. Erst nach ein bisschen Zeit des Nachdenkens beschloss ich, den 2. Tag anders zu gestalten, aber dazu brauchte ich diese Zeit des Reflektierens. Bist du schon einmal aus dem Hamsterrad ausgestiegen und hast das Ganze mal von aussen betrachtet? Ich entdeckte, wie gut es sich anfühlt, barmherzig zu sich (und auch zu Anderen) zu sein.
Am 2. Pilgertag fühlte ich mich früh wie 80 – alles tat weh, ich fragte mich, wie ich nur einen Schritt schaffen sollte. Aber es ist gut zu spüren, wie sich ältere Menschen fühlen und zu begreifen, warum bei ihnen alles langsamer geht. Wie sonst sollten wir uns in sie hineinversetzen können? Und alles, was uns widerfährt ist doch nur die Vorbereitung auf die weiteren Ereignisse, oder? Wenn wir das sehen wollen.
Also war ich umso überraschter, dass meine Füße wie von selbst losliefen und ich den Rucksack auch nicht mehr wirklich spürte. Und es gab bei 35 Grad endlich Schatten im Wald, wie wunderbar.
Ich verabschiedete mich von meinem stolzen Anspruch, es ganz ursprünglich machen zu wollen und nutzte das Handy, um nicht ständig suchen zu müssen, wo ich bin. Was für Ansprüche haben wir so im Leben? Sind sie hilfreich und erstrebenswert? Wenn sie gut sind, sollten wir sie weiter im Auge behalten und keine Kompromisse eingehen. Aber das muss abgewogen werden.
An diesem Tag nahm ich mir die Zeit, wahrzunehmen und mich mit meinen Fragen auseinandersetzen. Ich lief langsamer und fand auf einmal so viele schöne Details, an denen ich mich erfreuen konnte. Also ist doch der Weg das eigentliche Ziel…wußte ich schon vorher, aber das neu zu spüren tat gut, denn es prägt sich besser ein. Wie siehst du das?
In jedem kleinen Dorf fand ich nette Menschen, die mir mein Wasser wieder auffüllten und ich war so dankbar über diese Freundlichkeit. Überhaupt ist nach so einer Reise nichts mehr selbstverständlich, was man sonst dafür hält. Ich lief 13 km bis Arnstadt und als ich dieses kleine Städtchen sah, wußte ich, dass ich bleiben mußte – allen Plänen zum Trotz. Ich buchte spontan ein Zimmer und ging in Kirchen und ein Museum und schlenderte durch die schöne Altstadt. Ich fand eine wunderschöne Kirche – die Bachkirche. Braucht man eine Kirche, um mit Gott zu sprechen? Klares Nein, meine Reise war ein einziges Gespräch, aber dieser Ort fühlte sich sehr friedlich an und man bekommt ein anderes Empfinden für Ehrfurcht.
Und mich faszinierten diese wunderbaren Kirchenfenster voll leuchtender Farben.
Ich nahm mir Zeit für Gespräche mit Menschen, die mir über den Weg liefen, ich bewegte eine Menge Gedanken und Fragen. Ich konnte schreiben und nachdenken. Das fühlte sich nach echtem Leben an. Und nichts habe ich dazugetan, alles war ein Geschenk und der Geber muss ein großes Herz haben. Um diese Beziehung dreht sich alles, das wurde mir neu klar.
Am 3. Pilgertag ging alles von allein, ich wollte nur noch laufen und staunte über meinen Körper. Mir wurde klar, wenn jemand keinen guten Draht zu seinem Körper hat, ist so eine Reise definitiv eine gute Sache. Wie ist dein Verhältnis zu deinem Körper? Kann man sich auf ihn verlassen? Deine Füße tragen dich mit deinen Habseligkeiten durchs Leben, dein Herz pulsiert, deine Lunge sorgt für den Atem des Lebens und du wirst dankbar dafür und lernst, wieder mehr auf den Körper zu hören und dir selbst und deinen Empfindungen zu vertrauen. Ich lief wie von allein, der Kopf ging auf Reisen und die Gedanken bahnten sich ihren Weg, den sie sonst im Alltag nicht finden.
Ich lief an einem Fluß vorbei und da roch es nach Kindheit. Dieses Kind in uns braucht Raum zum leben – wann hast du zuletzt wie ein Kind gestaunt und diese Lebendigkeit und Fähigkeit empfunden, völlig im Moment zu leben? Ich fand das auf dieser Reise wieder. Da fiel mir auf, dass auch die Freude an Gott, meinem Schöpfer, viel zu oft im Alltag verschwindet.
Und da waren wieder die Fragen, auf die ich noch keine Antworten gefunden hatte. Und neue Fragen kamen auf, als ich durch diesen Wald ging.
“Innigkeit o. Abhängigkeit?” “Gottes Licht strahlt durch” “erfahrener 200 J.alter Baum”
An diesem Tag traf ich kaum einen Menschen, verrückt in unserer heutigen Zeit – und wohltuend. Nach weiteren 14 km stieg ich in den Zug. Als ich am Erfurter Bahnhof ankam, erschienen mir alle wie lärmende Hamster in ihren Laufrädern – ein zu großer Kontrast. Ich musste zurück in die Stille des Klosters.
Dort angekommen nahm ich mir eine Zeit des Hörens auf Gott und auf sehr faszinierende Weise bekam ich Antworten auf einige meiner Fragen. Wann hast du dir zuletzt Zeit zum hören genommen? Ich weiß, es ist im Alltag nicht leicht, aber so wertvoll.
Und ich fand die Freude wieder – wir sind von unserem Schöpfer gut erdacht, geliebt und geschaffen, um uns an ihm zu freuen. Was für ein Geschenk und welch schöne Aufgabe. Ich war entzückt über all diese Erkenntnisse. Fragt mich, wenn ihr mehr wissen wollt.
Ich erkundete noch die schöne Stadt Erfurt – langsam – lauschte Straßenmusikern, genoss kleine Winkel, die man nur sieht, wenn man nicht schnell vorbeihetzt.
4.Tag: Leider ist die Reise schon zu Ende. Ich habe die Klosterstille noch ein wenig genossen und aufgetankt, mich noch ein bisschen mit Luther auseinandergesetzt – der war echt ein Pilger – dagegen habe ich Wellnesspilgern betrieben, dessen bin ich mir völlig bewußt. 50 km sind keine Menge, aber ein guter Anfang und ein erster Einblick ins Zigeunerleben.
Nun heißt es, diese gewonnenen Erfahrungen im Alltag umzusetzen, denn dazu dient so eine Reise auch. Der Pilgerweg hieß übrigens: der Weg der starken Frauen”.
Tja, was wohl die wirkliche Stärke von uns Frauen ist? Was denkst du? Ich habe eine Ahnung bekommen…aber das geht nur im Gespräch zu erörtern.
Ich möchte es nicht missen, dies alles erlebt und gespürt zu haben, ich bin sooo dankbar dafür und ich werde das ab sofort in meine Sommer einbauen, weil es noch viel mehr zu lernen und zu erforschen gibt.
Und der Muskelkater wird sicher weniger im Laufe der Zeit 🙂
Nun, habe ich dich angesteckt? Hast du Lust auf´s Fragen und Suchen? Ich wünsche dir so eine Reise mit all diesen Erfahrungen sehr.
Nun noch die sachliche Fakten für die Theoretiker:
- Die Füße schwellen an – es macht Sinn, die Schuhe erst beim Ziel auszuziehen oder ein 2. Paar große Sandalen mitzunehmen
- Die Hände schwellen an – also früh Ringe ablegen
- Kopfbedeckung und Sonnenschutz mitnehmen
- Karte oder Handy nutzen
- Man braucht gar nicht so viel Essen (Nüsse sind gut), aber immer Wasser
- 4 ÜN kosteten mich 120 Euro + Essengeld und evtl. Zugticket
Noch ein Filmtipp für alle, die jetzt nicht gleich lospilgern können: “Die Hütte – ein Wochenende mit Gott” – den habe ich erst nach meiner Reise gesehen, aber gefühlt habe ich mich so ähnlich.
…Der kleine Vogel fühlt sich von seinem Schöpfer geliebt und fliegt und lebt seine Bestimmung – er gehört in die Weiten des Himmels. Und jetzt kann er das auch endlich genießen…
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