Auszeitklang Michaela Stohl
31. Januar 2022
Ein Spaziergang über einen Baumfriedhof
P
st, lebst du auch gerade in der Winterruhe? Begleitest du mich ein Stück? Hinter dem Tor ist ein Baumfriedhof. Doch der Ausflug ist alles andere als traurig, sondern erfüllt mich mit Ehrfurcht.
Nur bei uns Menschen ist Tod mit Trauer assoziiert. Die Trauer ist ja auch ein wichtiger Freund. Doch auf diesem Friedhof sehen wir die Wirklichkeit, nämlich Erneuerung anstatt Depression, Aufbruch anstatt Zerbruch – für all das braucht es Winterruhe.
Da stehen ganz alte, wunderschöne Baumruinen gleich neben schlafenden lebendigen Exemplaren. Da gibt es Holz in allen Farben, von tiefdunkelschwarz, nass und bedeckt mit Pilzen, über hellocker bis zu einem satten violett. Und was für eine Formenvielfalt man entdecken kann.
Als ich die kleine Mauer sehe, wird mir klar, dass nur wir Menschen auf Ideen kommen, Mauern zu bauen. In der Natur sind die Abgrenzungen und Erhebungen sanfter gelöst als mit einengenden Steinen in festem abgegrenzten Rahmen. Aber so ist es eben, wir lernen ja doch nur durch Erfahrung. Und wir brauchen eben unsere Mauern, wenn wir uns unsicher fühlen.
Da gibt es Bäume, die sich verbiegen, um ein wenig Anerkennung zu bekommen und andere, die sich im Laufe vieler Jahre einen sicheren Stand erarbeitet haben.
Bei genauerem Hinsehen entdecke ich unglaublich schöpferische Kraft und Kreativität. Wieviel Schönheit unser Schöpfer überall gestaltet hat.
Manch eine Rinde gleicht grazilen Kunstwerken oder geheimnisvollen Ruinen und schon entspinnt sich in mir eine Geschichte über all die kleinen Bewohner.
Dann bleiben meine Augen an diesem violetten Holz hängen. Eigentlich schade, es zerbröselt in den Händen. Es ist verloren und genauso fühle ich mich auch manchmal. Doch da kommt mir ein Gedanke:
Du hast niemals verloren,
aber eben auch nicht gewonnen.
Alles bleibt im Gestern zerronnen,
denn Realität ist noch nicht geboren.
Mitten in diesen Gedanken sehe ich, dass in den Überresten des alten Baumes kleine zarte Pflänzchen wachsen. In der Natur gibt es kein „Umsonst“. Alles dient dem großen Ganzen.
So geben sich die alten Bäume hin, damit aus ihnen Neues wachsen kann. Ist es nicht auch bei uns so? Wir müssen manch eine Idee oder Wünsche hingeben, damit etwas Größeres daraus wachsen kann, was wir oft nicht überblicken.
Aber es ist überhaupt nicht nötig, den Wald aufzuräumen. Wir denken, wir müßten uns überall einmischen. Manchmal ist es besser, zu schweigen, zu beobachten, zu lernen, um die Dinge sich einfach entwickeln zu lassen. Dann haben wir die Möglichkeit, in ihnen zu reifen und uns selbst und das Leben viel besser zu begreifen.
Wenn du ahntest, wieviel in dir entsteht,
wenn du deinem Gegenüber nur zuhörst.
Dann wird das Ausmaß klar, was dir entgeht,
indem du durch eigene Gedanken störst.
Und so lausche ich ein Weilchen noch den Bäumen, die im Wind flüstern und genieße die Winterruhe und dass mich keiner hetzt. So schlendere ich ganz langsam über diesen Friedhof, stelle mich vielen Baum-Gedanken und es ist kein bisschen traurig, eher ermutigend – wie ein Tanz im Regen.
Man fühlt sich so lange wie getrieben
und wird zweifeln und leiden,
bis man die Entscheidung trifft,
Regentänze nicht mehr zu vermeiden.
Mit bebender Hände Schrift
fängt man an zu hoffen und zu lieben.
Wenn du wüßtest, dass du so viel auf einem Spaziergang entdeckst, würdest du dann öfter in die Natur gehen?
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